21. November 2024

Buchrezension: Gewaltfreie Kommunikation – Bitte nicht zweckentfremden!

Gettel, Kendra: Die Fallen der Gewaltfreien Kommunikation
Gettel, Kendra: Die Fallen der Gewaltfreien Kommunikation

Gettel, Kendra: Die Fallen der Gewaltfreien Kommunikation. Wie Sie mit Gewaltfreier Kommunikation endlich dort ankommen, wo Sie schon die ganze Zeit hinwollten, Agentur für Innere Freiheit, Balingen, 2013.

Im Untertitel des Buchs „Die Fallen der Gewaltfreien Kommunikation“ heißt es: „Wie Sie mit Gewaltfreier Kommunikation endlich dort ankommen, wo Sie schon die ganze Zeit hinwollten“ und das beschreibt den Inhalt deutlich zutreffender. Denn wenn man nur den Titel nimmt, meint man, in dem rund 160 Seiten starken Buch von Kendra Gettel geht es um Fallen, die der Gewaltfreien Kommunikation inhärent sind. Dies ist jedoch nicht so. Vielmehr geht es um die Herausforderungen, denen sich Gettel angesichts der Gewaltfreien Kommunikation ausgesetzt sah und die sie als Hilfestellung für andere Neulinge aufgeschrieben hat.

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Fehlender Kontakt nach Innen führt zu Gewalt

Wer keinen Kontakt zu seinem Inneren hat, der ist häufig im Äußeren gewaltvoll. So auch unsere Gesellschaft. Das schmerzt. Die Gewalt ist hierbei nicht körperlich. Sie ist emotionaler oder seelischer Art und äußert sich häufig in der Kommunikation miteinander. Dies ist im Common Sense der 2020er Jahre weitgehend angekommen. Diesen empfundenen Schmerz will man allerdings dennoch nicht spüren und hierfür gibt es in der westlichen Gesellschaft zwei vorherrschende Strategien.

Einmal kann man einfach den Kontakt nach Innen, den Kontakt zu den eigenen Gefühlen abbrechen (unterdrücken). Dann spürt man diese emotionalen und seelischen Schmerzen nicht mehr – aber auch sonst nicht mehr viel. Zum anderen kann man Schmerz, den man nicht fühlen will, weitergeben. Man tut einfach so, als sei es nicht der eigene Schmerz, der sich im Inneren regt und sucht sich in seinen Mitmenschen ein Ventil dafür. Gettel fasst dies so zusammen: „Zu Wut, Ärger und sonstiger Gewalt nehmen wir Zuflucht, wenn wir den Kontakt mit unserer wahren Stärke verloren haben.“1 Es ist leicht, den dahinterliegenden Teufelskreis zu erkennen.

Als Lösung rät Gettel, im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation, man solle seine eigenen Gefühle achtsam beobachten und sie wirklich komplett spüren. Dann würde der Schmerz geringer werden oder gar verschwinden. Wenn der Kontakt zum Inneren wieder hergestellt ist, dann geht es einem nicht nur besser, man ist zugleich zufriedener (man achte auf den Wortstamm) und weniger gewaltvoll.

Die innere Haltung führt zur Verbindung

Letztlich weist Gettel auf etwas hin, was selbstverständlich für die Gewaltfreie Kommunikation ist: man lässt sich in seinem Handeln nicht von unbewussten Motiven leiten, sondern ist sich seiner Motivationen stets bewusst. Das führt zu einer klaren inneren Haltung des Wohlwollens, die Verbindung herstellt. Zu sich selbst und den Mitmenschen. „Konzentrieren Sie sich beim Leben von Gewaltfreier Kommunikation mehr als alles sonstige auf diese Verbindung und darauf, den Rest einfach geschehen zu lassen.“2

Eine innere Haltung, die zur Verbindung führt, bedarf einer gründlichen und genauen Selbstklärung. „Es ist nämlich durchaus möglich GFK zu benutzen, um nicht etwa weniger gewaltvoll zu werden, als wir es gewesen sind, sondern mehr! Dies passiert dann, wenn uns die Intention abhanden kommt und es wichtiger ist, von außen als gewaltfreier Mensch gesehen zu werden, als uns in unserem Inneren unseren Mitmenschen zuzuwenden.“3

Trügerische Fallen

Vor dem Hintergrund, dass Gettel die Gewaltfreie Kommunikation als Haltung beschreibt, erweisen sich alle von ihr geschilderten Fallen als trügerisch. Denn sie sind nur Fallen für diejenigen, die die Haltung nicht inne haben, sondern erst noch erlangen wollen.

Zum Beispiel beschreibt Gettel als Falle, dass jemand anderes etwas so sehen soll wie man selbst. Das fordert die Gewaltfreie Kommunikation zwar nicht, aber es ist eine Falle, in die man tappen kann. Im Grunde geht es Gettel um die genaue Beobachtung. Die Autorin umgeht die Falle, indem sie die Subjektivität von Beobachtungen betont: Nicht immer könnten Beobachtungen zwischen zwei Menschen geteilt werden und darum solle man von diesem Bestreben Abstand nehmen.4 Der Ansatz, dass eine Beobachtung dann gut ist, wenn beide „ja“ dazu sagen können, wird im Buch nicht geteilt – oder als nicht realistisch zurückgestellt.

Als eine andere Falle beschreibt die Trainerin die „ich brauche“-Falle. Wie der Name sagt, geht es darum, das man dieses oder jenes bräuchte, um glücklich und zufrieden zu sein (was wiederum keine Annahme der GfK ist). Gettel stellt dagegen, dass erfüllte Bedürfnisse subjektiv sind. Wenn ein Bedürfnis unerfüllt bleibt, dann gibt es immer auch andere Wege, dieses Bedürfnis zu erfüllen.5 Hier wiederum beschreibt Gettel quasi klassische GfK, mit dem Unterschied, dass sie darauf hinweist, dass diese auch nicht funktionieren kann. Dasselbe wiederholt sie bei der „4. Falle: ich brauche von dir“.

Die titelgebenden trügerischen Fallen sind also keine der Gewaltfreien Kommunikation, sondern sie sind zweckentfremdet angewandte GfK. Sie sind Fallen, in die Gettel auf ihrem Weg getappt ist und vor denen sie andere warnen möchte.

Fazit

Insgesamt ist im Prinzip bloß der Titel des Buchs falsch gewählt. Besser wäre gewesen: „Meine Missverständnisse mit der Gewaltfreien Kommunikation und wie ich lernte, mit den dahintersteckenden Fallen umzugehen“. Dann wüsste man als Leser, dass es einerseits deutlich um den persönlichen Weg der Autorin geht und zugleich wäre klar, dass es sich nicht um Fallen im Gedankengebäude der GfK handelt, sondern um Fallen, die man sich selber stellt.

Insofern legt man das Buch nach dem Lesen mit einem lachenden und einem weinenden Auge zur Seite. Man ist enttäuscht, weil der Titel nicht hält, was er versprochen hat. Man ist erfreut, weil man sich auf dem Weg zur Haltung der Gewaltfreien Kommunikation weniger allein fühlt. Die Intention (Haltung bei Rosenberg), sollte nach Gettel eine wohlwollende Herzensverbindung zu sich selbst und zu anderen Menschen sein. Da kann man unumwunden und vollumfänglich zustimmen.

(1) Seite 150.
(2) Seite 117.
(3) Seite 109.
(4) Vgl.: „1. Falle: Du musst es so sehen wie ich“, Seite 35 ff.
(5) Vgl.: „3. Falle: Ich brauche“, S. 52 ff.

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