Grover, Ron: Die Disney Story, Ullstein Sachbuch, Frankfurt am Main 1992 (Link zu Booklooker)
Es ist ungeheuerlich, was da von West nach Ost über den Atlantik kommt, dabei geht es eigentlich um Disney, diese liebevolle Freude für die ganze Familie. Dieser Eindruck verfestigte sich in mir, als ich „Die Disney Story“ von Ron Grover las. Angelegt ist das knapp 400 Seiten dicke Buch als Erfolgsgeschichte, allerdings eine sehr amerikanische. Denn Erfolg bemisst sich in diesem Buch ausschließlich nach Zahlen und diese sind auch nur dann wertvoll, wenn sie Dollars, Euro oder Yen repräsentieren.
In dem 1991 zuerst veröffentlichten Buch wird der Wiederaufstieg der Anfang der 1980er Jahre angeschlagenen Walt Disney Company dargestellt. Bei der Wikipedia wird dieser Aufstieg als „Disney-Renaissance“ bezeichnet. Zuvor ging es dem Unterhaltungskonzern finanziell schlecht und es gab verschiedene Übernahmeversuche, die wahrscheinlich das Ende von Disney bedeutet hätten.
Die finanzielle Gesundung ist auf den Einstieg der beiden Manager Michael Eisner und Frank Wells zurückzuführen, die ab 1984 dem Unternehmen vorstanden. Sie wandelten das Disney der 1970er Jahre, als es noch wie ein Familienunternehmen geführt wurde, zu dem börsennotierten Unterhaltungskonzern, der Disney auch heute noch ist.
Veraltete Wirtschaftsideologie
Die Faktoren, die zur Erfolgsgeschichte führten, wirken seltsam veraltet. Insofern ist „Die Disney Story“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Sachbuch aus der Zeit herausfallen kann. Ob aufkommender Videomarkt und einsetzende Fernsehverwertung, ob steigende Immobilienwerte, Merchandising oder neue Filme – alles mag dazu beigetragen haben, aber alles ist auch ziemlich weit weg.
Älter wirken nur noch die durch Grover gezogenen Schlussfolgerungen. Ihm geht es nur um Geschäftszahlen und wie diese erreicht wurden. Es geht nicht um künstlerische oder gar moralische Einordnungen. Es geht immer darum, mit welchem Deal man wie viel Geld verdient hat. Das erscheint aus heutiger Sicht als wenig und es wird immer offensichtlicher, je länger das Buch geht. Natürlich gibt es für solches Wirtschaften auch heute noch Vorbilder. Als ob der verdiente oder verlorene Dollar das einzige Kriterium für Gelingen oder Scheitern wäre. Aber diese Sichtweise ist im Zeitalter begrenzter Ressourcen und angestrebter Nachhaltigkeit nicht mehr aktuell – auch wenn das nicht alle wahrhaben wollen.
Geld über kreativen Zauber
Um eines geht es in dem Buch nicht. Walt Disney und seine visionäre Kreativität. Grover schreibt, Disney hätte eigentlich scheitern müssen, weil für Walt Disney zuerst die Ideen zählten und nicht die Zahlen und er immer das Beste für seine Ideen wollte. Darum setzte Disney technische Neuerungen oft als erster um, weil seine Erzählungen dadurch besser wurden: „Steamboat Willie“ (1928) mit Micky Maus war der erste Trickfilm mit Synchronton und „Schneewittchen“ (1937) der erste Zeichentrick in Spielfilmlänge. Disney war immer vorne dabei, erzählerisch und technisch.
„Von Anfang an war Walt mit seinem intuitiven Talent fürs Geschichtenerzählen derjenige, der den Zauber schuf“, so Grover. Insofern ist das, was Eisner und Wells nach der Schilderung durch Grover tun, etwas komplett anderes. Der Zauber geht nicht mehr von den Geschichten aus, sondern vom Geld. Ziemlich amerikanisch und Grover lässt sich mit seinem Buch leider davon einfangen.