Buchrezension zu Christoph Schröder: Ich pfeiffe!, Tropen, Stuttgart 2015
Früher war auch nicht alles besser, aber manches eben schon. Dies macht Christoph Schröder in seinem Buch „Ich pfeiffe!“ am Beispiel des Lieblingssports der Deutschen, Fußball, deutlich. Christoph Schröder ist im Hauptberuf Literaturkritiker und als Hobby gibt er seit seinem 14. Lebensjahr den Schiedsrichter. In dem Buch geht es nur am Rand um die Kernaufgabe des Schiedsrichters, nämlich die Einhaltung und Durchsetzung der Regeln. Hauptsächlich geht es darum, was Christoph Schröder in seiner Rolle als Schiedsrichter erlebt und welche Lehren er daraus gezogen hat. Und nicht zuletzt ist das Buch eine Reflexion über die Veränderungen in unserer Gesellschaft in den letzten 20 Jahren – am Beispiel Fußball.
Ruhe, Ausgeglichenheit und Gelassenheit sowie Menschenkenntnis und Entscheidungsfreudigkeit hat Schröder als die wichtigsten Eigenschaften eines Schiedsrichters identifiziert. Eigenschaften, die kein 14jähriger Teenager mitbringen kann, der erst Jugendspiele pfeifft und dann die Herrenspiele. Entsprechend ist „Ich pfeiffe!“ ein wenig mit einem Bildungsroman vergleichbar, denn erst mit der jahrelangen Tätigkeit als Schiedsrichter erwirbt sich der junge Mann die für einen gestandenen Schiedsrichter notwendigen Eigenschaften. „Am Anfang sagten mir die Orte naturgemäß nichts; ich war eine unbeschriebene Karte, die sich im Lauf der Jahre mit Spielorten, Fahrtrouten, Landschaften und vor allem aber mit Sportplätzen füllen sollte.“ Die Parallelen zur Bildungsreise eines Romanhelden sind offensichtlich.
Während der junge Christoph Schröder, der Schiedsrichteranfänger, aus Furcht manche Entscheidung nicht oder nicht richtig trifft, gestaltet der ältere, erfahrene Schiedsrichter die Spiele mit seiner in 20 Jahren, vielen Spielen und auf vielen entlegenen Sportplätzen gereiften Persönlichkeit.
„Sportplätze haben einen Charakter, eine Seele.“
Ebenso wichtig sind die zahlreichen Erfahrungen und persönlichen Begegnungen, die Schröder am Rand der sportlichen Partien, davor oder danach, gemacht hat. „Ich bin verliebt in ungewöhnliche Sportplätze. In ihre Lage, in ihre Art und Weise, wie sie in, neben, an oder über einem Dorf platziert sind, in die Kuriosität ihrer Beschaffenheit, in die Eigenheit ihrer Spieloberflächen, in die Besonderheit ihrer Ausmaße, in die Art und Weise, wie sie in die Umgebung hineingesetzt sind. Zum ersten Mal an einen Sportplatz heranzufahren, mich umzuziehen und warmzulaufen, die Atmosphäre zu erspüren, abzuschätzen, wie dicht die Zuschauer am Spielgeschehen sind, ist für mich in etwa so aufregend, wie ein Buch aufzuschlagen und plötzlich eine Welt zu entdecken, die ich so noch nicht gekannt habe.“
Dies ist die große Stärke des Buchs. Der Tonfall, den Schröder anschlägt, passt sehr gut und genau zu den Beschreibungen der Menschen, Orte, Situationen. Für Christoph Schröder haben Sportplätze einen Charakter bzw. eine Seele und wer einmal im Amateursport tätig gewesen ist, sei es als Aktiver oder in einer anderen Funktion, wird dies bestätigen können. Schröder gelingt es mit seinem Buch, diesen Charakter und diese Seele einzufangen. Mit sanfter Melancholie blickt das Buch zurück auf das Fußballspiel der späten 80er und frühen 90er Jahre, als der Fußball und das Leben noch vermeintlich ehrlich waren.
Der Blick zurück – mit sanfter Melancholie
Zwar seien die heutigen Fußballer athletischer und trickreicher, Schröder vergleicht sie sogar in ihren Bewegungen mit den Spielfiguren aus bekannten Videospielreihen, aber damals sei der Fußball noch rauer, vielleicht natürlicher gewesen. Fußball war Gemeinschaftssport, harte aber sportliche Auseinandersetzung und ein Heimatverein noch in seiner Heimat verwurzelt.
Heute werden Emotionen geschürt, Stars gefeiert und Fußball gleicht Akrobatik mit Taktik. Gemeinschaft und Heimat erliegen den Reizen des Geldes. Schröder verknüpft gekonnt das Fußballspiel mit gesellschaftlichen Belangen – damals wie heute. Trotzdem stellt Schröder für den Sport Fußball insgesamt fest, dass dieser die Kraft hat, „so etwas wie regionale Identität zu schaffen.“ Damals noch eher als heute.
„Ich pfeiffe“ ist ein tolles Buch und einwandfrei geschrieben. „Denn ich fahre ja nun schon tatsächlich mehr als zwei Jahrzehnte lang durch das Land, bin jedes Wochenende zu Gast bei einem anderen Verein und noch immer macht es mit ungeheure Freude, sonst würde ich es bleiben lassen.“ Genau dasselbe kann man über das Schreiben des Literaturkritikers Christoph Schröder sagen. Es macht Freude dieses Buch zu lesen.
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