10. Oktober 2024

Schreiben heißt, genau hinsehen

Stein, Sol: Über das Schreiben, Zweitausendeins-Taschenbuch, Frankfurt am Main 2011, 3. Auflage

Rezension zu Sol Stein: Über das Schreiben [als PDF downloaden]

Über das Zeichnen heißt es, man müsse zuerst lernen genau hinzusehen, erst danach könne man richtig zeichnen. In dem Buch „Über das Schreiben“ behauptet Sol Stein dasselbe über das Schreiben. Es seien die genau beobachteten Details und die exakte Ausdrucksweise, die aus einem Schreiber einen Autor machen.

In dem Ratgeber-Sachbuch geht es darum, worauf angehende und gestandene Autoren achten sollten, um noch bessere Bücher zu schreiben. Dabei unterscheidet Stein nicht nach literarischen und nach Sachtexten, sondern gibt dieselben Tipps für beide Gattungen – was gut funktioniert. Natürlich zeigt Stein auch die die Unterschiede der beiden Gattungen und wichtiger noch, deren Gemeinsamkeiten auf. Demnach liegt der Unterschied darin, dass die Sachliteratur kein Geschehen erfinden darf und sich auf Fakten stützen muss. Der Autor fiktionaler Literatur dagegen ist ein Erfinder von Figuren und Geschichten, die beim Leser Gefühle wecken sollen, die dieser im normalen Alltag nicht hat.

„Romanschriftsteller und Sachbuchautoren, die danach streben, Werke von Dauer zu schaffen, haben ein gemeinsames Interesse: Sie bemühen sich um eine präzise und erfrischende Wortwahl, um tiefere Einsichten in das Wesen der Menschen und die Beschaffenheit der materiellen Welt und um Resonanz. Diese Autoren entwickeln im allgemeinen eine individuelle ‚Stimme‘, einen eigenen Stil.“

Diejenigen Leser, denen das Zitat aus dem Herzen spricht, werden vielleicht schon mit diesem Zitat alles erfahren haben, was Stein auf 429 Seiten zu sagen hat. Alle weiteren Ausführungen sind Verdeutlichungen, Vertiefungen, Erklärungen, Beispiele. Diese sollen folgend in kürzester Form vorgestellt werden. Zuallererst müsse man immer berücksichtigen, was der Leser will.

Der Leser will…

  • … nicht die Realität nachempfunden sehen
    Die Dinge, die wir uns im realen Leben, wünschen, sind nicht die Dinge, die wir in der Literatur suchen. Wenn man es im realen Leben gerne angenehm hat, so darf es in der Literatur unangenehm sein.
  • … etwas erleben, Nervenkitzel und neugierig sein
    Der Leser will, wenn er liest, etwas erleben. Dabei soll er nicht gestört werden durch etwa die Vergabe von Informationen. Die wichtigste Aufgabe ist es darum, „dem Leser ein Gefühlserlebnis zu vermitteln“. Dieses Erlebnis sollte reicher sein als der normale Alltag. Häufig gelingt dies über die Einführung von etwas ungewöhnlichem, schockierendem oder überraschendem. Diesen Nervenkitzel sollte ein Autor seinem Leser gönnen.
  • … Provokation
    „Zum Schreiben braucht man Mut“, schreibt Stein, da man Dinge anspricht, die sonst verschwiegen werden. Dies ist provokant. Aber Dinge unausgesprochen lassen, das macht man schon im normalen Leben.

Was Figuren interessant macht

Für Stein stehen die Figuren am Anfang eines Buchs. Denn erst ihre Handlungen, die sich aus ihren Charakterzügen ergeben, führen zu Konflikten, die Spannung erzeugen. Insofern muss jeder Autor seinen Figuren ganz besondere Aufmerksamkeit schenken, egal ob Protagonist, Antagonist, Nebenfigur oder real existierender Mensch (Sachbuch).

  • Faszinierende Figuren
    Exzentrische Figuren sind interessante Figuren. Figuren mit mehr als einer Seite sind interessant, hierbei ist der Kontrast ein gutes Mittel der Charakterisierung. Alles, was den Rahmen des Normalen sprengt, interessiert den Leser. Die Figur sollte sich darum vom Rest der Menschheit unterscheiden.
  • Wandel und Veränderung
    Figuren, die sich verändern und eine Wandlung durchfahren, sind interessanter.
  • Alle Handlung geht von den Figuren aus
    Figuren müssen handeln und durch ihr Handeln werden sie charakterisiert. Die Figuren sind der Motor aller Handlung.
  • Der Protagonist will etwas
    Der Protagonist einer Geschichte muss immer etwas wollen und den starken Willen haben, dies zu erreichen. Der Antagonist will entsprechend das Gegenteil davon.
  • Der Dialog
    Der Dialog ist nicht wie ein Gespräch, wie es im echten Leben hätte stattfinden können. Das echte Leben ist voller Echos, d.h. wir wiederholen Teile des Gesagten. Dialog ist dagegen geschliffene Rede. Gleichzeitig ist er indirekt und anspielungsreich
  • Der Dialog II
    Dialog ist wie Handlung. Es zählt nicht, was vermeintlich gemeint ist, sondern die Wirkung des Gesagten zählt.

Was die Handlung beflügelt und Spannung erzeugt

Wenn Figuren, die etwas wollen und die der Leser mag, ihr Ziel nicht gleich erreichen, dann erzeugt dies Spannung.

  • Handlung gibt es nicht ohne Konflikt
    Bei den Zielen von Protagonist und Antagonist ist es so, dass niemals beide gleichzeitig ihr Ziel erreichen können, weil sie sich einander auf dem Weg dorthin zwingend im Weg stehen. Das wäre dann ein Schmelztiegel.
  • Verzögerung
    Jeder Moment der Verzögerung erzeugt Spannung. Sobald die Neugier des Lesers geweckt ist, darf man das Erreichen des (Zwischen-)Ziels gerne hinaus zögern.
  • Schmelztiegel
    Als ‚Schmelztiegel“ bezeichnet Sol Stein „ein emotionales oder materielles Umfeld, das zwei Menschen aneinanderkettet“. Die Figuren sind in einer Situation gefangen, das heißt, sie können nicht daraus entkommen und der Konflikt muss entsprechend ausgetragen werden.
  • Spannung
    Spannung wird erzeugt, wenn der Leser unbedingt wissen will, wie es weiter geht, weil er an dem Schicksal der Figuren Anteil nimmt. Die erzeugte Spannung darf nicht zu früh aufgelöst werden (siehe Verzögerung).
  • Die Würze beim Schreiben
    Der Stil eines Autors sollte möglichst unverkennbar und einzigartig sein. Denn wenn sich die Erzählungen und Geschichten wiederholen, dann ist es der Stil des Autors, der den Unterschied macht.
  • Der Blick fürs Detail
    Autoren sollen einen guten Blick für das Detail entwickeln, denn Details sind das Salz in der literarischen Suppe. Erst durch die Beschreibung von treffenden Details hebt sich der Autor von anderen Autoren ab.
  • Einzigartigkeit
    So wie der gute Autor exakte Details integriert, so sind seine Beobachtungen und Metaphern einzigartig, sie umgehen Klischees. „Es gibt für einen Autor kaum etwas Wichtigeres, als im Laufe eines Schaffens seine individuelle Stimme, seinen ureigenen Stil und seine ganz spezielle Weltsicht herauszukristallisieren, sei es nun in der fiktionalen oder in der nichtfiktionalen Literatur.“
  • Worte wie ein Skalpel
    Der gute Autor gebraucht präzise Worte. Worte, die fein und genau arbeiten wie ein Skalpel. Es sind große Unterschiede, ob jemand schön, hübsch, schick oder gut aussehend ist.
  • Akzentuierungen
    Sätze sollten so lange umgestellt werden, bis die gewünschte Akzentuierung erreicht wurde. Je nach Satzstellung ergeben sich kleine Unterschiede in der Bedeutung der einzelnen, sorgsam gewählten Worte und dessen muss sich der Autor bewusst sein.
  • Metaphern und Vergleiche
    Metaphern und Vergleiche sind das Fleisch auf dem Gerippe der Literatur. Idealerweise sind alle rhetorischen Mittel ebenso originell wie präzise. So wie man das genau exakte Wort treffen muss, so müssen auch die treffendsten rhetorischen Mittel verwendet werden.
  • Glaubwürdigkeit
    Um eine hohe Glaubwürdigkeit zu erreichen, muss jede Handlung mit überzeugenden Motiven untermauert werden. Außerdem müssen die Handlungen zu den Figuren passen.
  • Action und Bewegung sollen nicht miteinander verwechselt werden
    Laut Ernest Hemingway sollen Bewegung und Action nicht miteinander verwechselt werden. Mit Bewegung ist gemeint, dass der Leser emotional bewegt wird und diese Bewegung länger anhält. Action dagegen ist eine kurzfristige Reizung von Sensationslust.
  • Weniger ist (häufig) mehr
    Das Tempo einer Geschichte steigert sich, indem überflüssige Worte weggelassen werden. Häufig reicht es, die Adjektive und Adverbien zu entfernen. Stein hat dies in der Formel zusammen gefasst, „eins plus eins ist die Hälfte“.

Literatur überarbeiten

  • Streichen!
    Das beste Mittel, um Literatur zu überarbeiten, ist Streichen. „Sollten durch eine Streichung Informationen verlorengehen, die für den Leser notwendig sind, dann suchen Sie nach einer Möglichkeit, diese in einer anderen Szene einzuflechten.“ So wird das Manuskript gestrafft.
  • Im Umschreiben liegt die Kunst des Schreibens
    Die meisten ersten Versionen sind noch voller Fehler und dramaturgisch schwächer, als sie es sein könnten. Ein guter Autor weiß, dass in der Überarbeitung die Kunst des Schreibens liegt. Ein Buch entsteht erst in der dritten, fünften oder zehnten Fassung.
  • Die schwächste Szene verbessern
    Wenn man die schwächste Szene eines Buchs identifiziert, kann man sie anschließend verbessern oder streichen. Danach sucht man die nächste, schlechteste Szene.

Insgesamt ist „Über das Schreiben“ reich an Inhalten und enthält viele gute Hinweise, wie man seine Schreibe verbessern kann. Die Beispiele jedoch könnten besser gewählt sein, zumindest sind die vermeintlichen Verbesserung häufig eine Frage des persönlichen Geschmacks. Wer jedoch gelernt hat, mit s einem individuellen Stil zu schreiben, der wird sicher auch seinen eigenen Geschmack ausgebildet haben.

Ausdrucken, aufhängen, lernen oder Buch kaufen, lesen, lernen.

Das Buch „Über das Schreiben“ bei Amazon kaufen.

2 Gedanken zu “Schreiben heißt, genau hinsehen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.