19. März 2024

Die vermeintliche Einheit von Autor und Werk bei Bukowski

Bukowski, Charles: Die Ochsentour, Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1982

Anlass für das Buch „Die Ochsentour“ war eine Lesung Charles Bukowskis am 19. Mai 1978 in der Hamburger Markthalle. Die Lesung war mehr als ausverkauft, laut Bukowski gab es 1200 zahlende Zuhörer in dieser Halle, die damals für 800 Menschen ausgelegt war. 300 weitere Menschen mussten weggeschickt werden, wenige hatten das Gebäude erklommen, um den amerikanischen Skandalautoren wenigstens durch Fenster sehen zu können. Es war die einzige Lesung Bukowskis zu dieser Zeit in Europa und er hatte in Europa deutlich mehr Fans und Leser als in den Vereinigten Staaten, wo seine Auflage damals bei rund 5000 Exemplaren lag.

Themen aus dem Leben

Das große Interesse der Europäer lag sicher in der Wahl der Themen Bukowskis: „Ich höre nicht auf, über das zu schreiben, was übrig ist: ein streunender Hund, der die Straße runterläuft; eine Frau, die ihren Mann umbringt; die Gedanken und Gefühle eines Triebtäters, wenn er in einen Hamburger beißt; das Leben in der Fabrik; das Leben in den Straßen und Behausungen der Armen und Krüppel und Geisteskranken, so einen Dreck, ich schreibe eine Menge solchen Dreck …“ (S. 56)

Europa ist offensichtlich offener für den Finger, der sich in gesellschaftliche Wunden legt, für die beiläufige, sehr direkt geschilderte Beobachtung gesellschaftlicher Niederungen. Für die düsteren Seiten, Sex, Gewalt, Alkohol.

In „Die Ochsentour“ beschreibt Bukowski die Zeit, die er in Europa verbringt, einen Großteil davon in Deutschland. Er beschreibt, wen er trifft, wie er sich fühlt, was er erlebt und was er vermeidet zu erleben. Das Buch ist ein literarisiertes Tagebuch und es fällt auf, wie sehr bei Bukowski die Biografie und seine literarischen Werke in eins zu fallen scheinen. Zu den Schilderungen des Buchs gehören sich wiederholende Alkoholexzesse, Erfahrung von Ablehnung aber auch von Bewunderung, seine Partnerschaft, die oft nicht einfach war.

So sehr man Bukowski für seine Gedichte und Romane schätzen mag, es schwingt immer die Bewunderung mit, dass er sein Leben so gelebt hat, wie er es tat. Kompromisslos.

Ein sehr konsequentes Leben

Wenn man sich ein wenig mit Bukowskis Leben und Werk beschäftigt, muss man sich zwangsläufig fragen, wie er als schwerer Alkoholiker und meist bitterarmer Mensch in miesen Jobs überhaupt so viele Werke schreiben konnte. Die Antwort liegt zu einem guten Teil in diesem Zitat: „Was die meisten Leute interessiert, lässt mich völlig kalt. Dazu gehören solche Sache wie: Tanzveranstaltungen, Achterbahnen, Besuche im Zoo, Picknicks, Kino, Planetarien, Fernsehen, Baseball; Begräbnisse, Hochzeiten, Parties, Basketball, Autorennen, Dichterlesungen, Museen, Wahlkampf, Demonstrationen, Protestveranstaltungen, Spiele für Kinder, Spiele für Erwachsene … Ich mache mir nichts aus Stränden, Schwimmen, Skilaufen, Weihnachten, Neujahr, dem 4. Juli, Rockmusik, Weltgeschichte, Weltraumforschung, Haustieren, Fußball, Kathedralen und großen Kunstwerken.“ (S. 47)

Bukowski schrieb, weil ihn neben dem Schreiben kaum etwas interessierte. Da hatten nur noch Alkohol, Frauen, Pferdewetten und klassische Musik Platz. Er war insofern und zum Glück für viele Leser ein Getriebener, jemand, der schreiben musste.

„Die Ochsentour“ behauptet die Einheit von Autor und Werk und doch finden sich kleine Einsprengsel, die diese Einheit aufbrechen. Ganz rührend ist eine Fotografie, die eine andere Seite des amerikanischen Skandalschriftstellers zeigt. Er zu Besuch bei seinen deutschen Wurzeln, in einem Wohnzimmer, mit Frisuren und Bekleidung, die ihm und seiner Literatur kaum ferner sein könnten. Bieder, brav, deutsch.

Da brechen Werk und Autor auseinander und genau dafür liest man dieses im Nachhinein verfasste Reisetagebuch.

Bukowski im Wohnzimmer
Bukowski im Wohnzimmer

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