28. März 2024

Eine halbe doppelte Portion

Rob Reger/ Jessica Gruner: Emily the Strange. Es wird immer seltsamer


Wenn man wissen will, wo die Comic-Figur Emily the Strange herkommt, muss man einen genaueren Blick auf die Biografie ihres Erfinders und geistigen Vaters Rob Reger werfen. Dieser wurde 1969 in einem konservativen Vorort von Los Angeles geboren, wo er auch aufwuchs. Erst als er mit dem Schulabschluss in der Tasche weiter in den Süden nach Santa Cruz ging, erfuhr er, wie befreiend Offenheit und Toleranz sein können. Was Reger durch einen Umzug erreichte, erkämpft sich seine Figur Emily. In ihrer konsequenten Anti-Haltung gegenüber der als spießig zu verstehenden Normalität liegt ihre individuelle Freiheit begründet. Die tolerante Offenheit von Santa Cruz kritisiert die konservative Vorstandenge von Los Angeles.

Emilys zweites deutschsprachiges Romanabenteuer beginnt mit dem Umzug in die Stadt Silifordville und dem Verlangen, dieser Stadt einen Masterstreich zu spielen. Bei den Vorbereitungen dazu verdoppelt sie sich versehentlich selbst. Während Emily und ihre Kopie – Emily nennt sie »AnderesIch« – zunächst gemeinsam ein unschlagbares Duo bilden, kühlt sich die Zuneigung füreinander schnell ab – zwei Köpfe sind, in diesem Fall, eben doch nicht besser als einer. Aus »AnderesIch« wird »VerderbtesIch« und schließlich »TeufelIch«.

Zwar geht der zuvor gemeinsam entworfene Masterstreich voll auf, doch sein Erfolg ist selbst für Emily zu durchschlagend: Nach dem Hören des »strangen Manifestes« werden die Bewohner von Siliforville allesamt total »strange«. Statt Befriedigung zu verspüren, ist es Emily unangenehm. »Ich habe nicht das brennende Bedürfnis, anders als die anderen zu sein, aber ich verspüre auch nicht den Wunsch, dass sie so sind wie ich.« Kurz darauf versuchen die beiden Emilys, sich gegenseitig auszulöschen und für den Leser stellt sich die eigentlich unausweichliche Frage, welche Emily nun das Original ist und welche die Kopie davon.

Tagebucheintragungen als Erzählform

Erzählt wird der Roman in Form von Tagebucheintragungen des kultigen, außergewöhnlichen 13-jährigen Mädchens mit der strengen Frisur und dem ernsthaft-ausdruckslosen Gesicht. So faul Emily laut Eigenauskunft ist; ihr Tagebuch führt sie mit großer Lust.

Die Tagebucheintragungen geben, angereichert durch Zeichnungen und Aufzählungen, durchaus Ähnlichkeit mit Tagebüchern, wie sie von jedem Teenager geführt sein könnten. Aus der ungewöhnlichen Perspektive Emilys ergeben sich interessante Einblicke in, bzw. Erinnerungen an, die Phase der jugendlichen Selbstfindung: »Wenn einem etwas (hier alles einfügen, was man mag) wirklich vermiest, dann sind das DIE ANDEREN.« Jene Anderen, die einem selbst als Jugendlicher auch schon wenig sympathisch waren.

Von Emiliys Duplizierung bleibt nur die Hälfte

Insgesamt war der erste Roman mit Emily the Strange. Die verschwundenen Tage im positiven Sinne seltsamer und darum unterhaltsamer. Denn die Stärke der Romane liegt weniger in der Erzählung und mehr in Emilys seltsamer Art, die Welt wahrzunehmen und mit ihr umzugehen. Ihre „strange“ Perspektive sorgt für manches Aha-Erlebnis. Aber die Duplizierung – hier muss leider mehr über das Ende preisgegeben werden, als gewünscht – ist keine Verdoppelung.

Nur die Hülle verdoppelt sich, die Persönlichkeit spaltet sich bloß zwischen den beiden Körpern auf, halbiert sich also. Somit ist die „strange“ Perspektive bei einer halben Emily auch nur halb so stark. Es mag paradox klingen, aber durch die Duplizierung wird die Figur normaler und damit für den Leser weniger interessant. Zumal sich Emily in diesem Roman hauptsächlich mit ihrer Doppelgängerin d.h. sich selbst beschäftigt. Trotzdem ist auch Emilys zweites Abenteuer Es wird immer seltsamer ein manchmal geistreicher, häufiger spritziger und humorvoller Roman für junge und jung gebliebene Leser.

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